Eine Schale, ein Gewand

Eine Schale, ein Gewand ist der Titel eines Gedichtbands des Zen-Meisters Ryōkan. Es ist eines meiner Lieblingsbücher und ich möchte diese Woche einige der Zeilen Ryōkans für sich sprechen lassen.

Aus den Chinesischen Gedichten:

Ein schmaler Pfad, von dichtem Wald umgeben;
Rundum liegen die Berge im Dunkel.
Die Herbstblätter sind schon gefallen.
Kein Regen, aber noch sind die Felsen dunkel vom Moos.
Ich kehre zu meiner Klause zurück,
auf einem Weg, den kaum einer kennt,
Mit einem Korb frischer Pilze
Und einem Krug reinen Wassers
aus dem Tempelbrunnen.

Der Regen hat aufgehört, die Wolken sind weggezogen,
und der Himmel ist wieder klar.
Wenn dein Herz rein ist
dann sind alle Dinge deiner Welt rein.
Gib diese vergängliche Welt auf, gib dich selbst auf.
Dann werden der Mond und die Blumen
dir den Weg weisen.

Ich sitze still, höre die fallenden Blätter –
Eine einsame Hütte, ein Leben der Entsagung.
Die Vergangenheit ist verblasst,
Erinnerungen verschwunden,
Mein Ärmel ist nass von Tränen.

Steinstufen, ein grün glänzendes Moospolster;
Der Wind trägt den Duft von Zedern und Kiefern.
Der Regen hat aufgehört und es wird klar.
Ich rufe den Kindern zu
auf meinem Weg ins Dorf, um Sake zu holen.
Nun habe ich zu viel getrunken
und schreibe glücklich diese Zeilen.

Für die Bücherliebhaber: Die Ausgabe, aus der die Gedichte stammen ist die Folgende: Meister Ryōkan, Eine Schale, ein Gewand. Zen-Gedichte, hrsg. und übers. von John Stevens, dt. Übers. von Munish B. Schiekel, Heidelberg; Leimen: Werner Kristkeitz Verlag 1999 (oben ausgewählte Gedichte auf den Seiten 25-26).

Shiatsu und Zen

Wie hängen Zen-Meditation (bzw. Chan-Meditation) und Shiatsu zusammen?

Es sind gerade die Einfachheit, Klarheit und Direktheit des Zen, die mit dem Shiatsu harmonieren. Das Sein im Moment hebt die Abgrenzung zum anderen hin auf: Die Grenze zwischen mir und dem Klienten ist da und auch nicht da. Die intellektuelle Wahrnehmung formt unsere Welt stark und darüber vergessen und verkennen wir oft, dass sie derart illusorisch ist.

Für mich bedeutet Zen in diesem Zusammenhang auch, der Intuition zu folgen und damit dem Fluss des Qi – und diesem zu vertrauen.

Ein Eisvogel am Fluss, winterlich.

Ebenso sind die körperliche Haltung des Praktikers und die Handgriffe im Shiatsu einfach, direkt und klar: aufrecht ist die Position des Praktikers und klar der Geist. Die Arbeit und Bewegungen aus dem eigenen Dantien bzw. Hara heraus erden den Praktiker zum einen, und zum anderen machen sie ihn gewahr für die eigene Position, körperlich, energetisch und geistig. Letztlich ist Shiatsu ein Miteinanderfließen, wobei der Praktiker den Klienten führt und sich dabei von dessen Energie leiten lässt.

Die Lotusblume (oder auch: Lotos), wie sie im Beitragsbild zu sehen ist, hat übrigens eine faszinierende Fähigkeit: Ihre Blätter sind flüssigkeitsabweisend und bleiben dadurch stets sauber. Weder Pilze noch Schmutz können sich auf ihnen absetzen. Diese Eigenschaft macht den Lotus unter anderem zur Blume der Reinheit und Erleuchtung. Als Symbol kommt er in vielen verschiedenen Kulturen und Religionen vor, ganz bekannt im Hinduismus, Buddhismus und Daoismus, aber beispielsweise auch im Islam.

Mahakashyapa gilt als einer der bedeutenden Schüler Gautama Buddhas und ist der erste indische Patriarch des Zen-Buddhismus. Die Geschichte seiner Erleuchtung ist, meines Erachtens, eine der schönsten Geschichten Buddhas: die Blumenpredigt

Passend zum nahenden Frühling, wenn bald die Natur ergrünt und die Knospen allerorts aufblühen.

Lotusblumenknospen

Von Pferden und Meditation

Als Kind war ich einmal auf einen Geburtstag eingeladen. Wir sind reiten gegangen, und ich kam in die glückliche Lage, das erste Mal auf einem ausgewachsenen Pferd zu sitzen. Im Gegensatz zu den anderen kleinen Gästen hatte ich keine Erfahrungen im Voltigieren und auch generell nicht mit diesen edlen Tieren. Mein Ritt endete ziemlich schnell damit, dass ich vom Rücken des Pferdes glitt und an dem Hals des galoppierenden Tieres hing. Es sah bestimmt lustig aus! Dem Tier und mir ist übrigens nichts geschehen.

Als ich die folgende Geschichte vor ein paar Tagen las, erinnerte ich mich an dieses kurze Erlebnis.

There is a story in Zen circles about a man and a horse. The horse is galloping quickly, and it appears that the man on the horse is going somewhere important. Another man standing alongside the road, shouts, „Where are you going?“ and the first man replies, „I don’t know! Ask the horse!“ This is also our story. We are riding a horse, we don’t know where we are going, and we can’t stop. The horse is our habit energy pulling us along, and we are powerless. 

Thich Nhat Hanh, 1973

Diese Geschichte von dem Mann auf dem Pferd, der machtlos mitgerissen wird, stammt aus dem Buch The Heart of the Buddha’s Teaching von Thich Nhat Hanh (S.24).

Klang

Wofür steht das Pferd? Thich Nhat Hanh legt es hier als „habit energy“, also die Macht (oder Energie) der Gewohnheiten aus. Dafür gibt es viele verschiedene Beispiele, jeder kennt welche aus dem Alltag. Es braucht meistens nur einen kleinen Blick auf die letzten drei vergangenen Stunden, um einige Gewohnheiten zu entdecken, die einen begleiten. Es sind allerdings nicht die Gewohnheiten, um die es geht, sondern um die Machtlosigkeit, und die Entfremdung, um das Ausgeliefertsein. Gefangen im Karussell der Gedanken, der alten oder neuen Muster, der Vorlieben und Abneigungen, im Korsett automatisierter Handlungen – ganz egal, wie sie nun geartet sind.

Zen-Meditation ist ein Weg der Kultivierung, auf dem wir lernen, das Pferd zu reiten. Wer einmal geritten ist, weiß, dass Reiten nicht meint, das Pferd zu kontrollieren. Reiten ist die Interaktion zwischen Mensch und Tier, eine sensible Kommunikation. So geht es auch im Zen nicht darum die Gedanken zu kontrollieren. Vielmehr lernen wir, unter anderem, uns nicht mehr mit den Gedanken und Gewohnheiten zu identifizieren, von ihnen Abstand nehmen zu können, „stop“ sagen zu können  und zu stoppen – das Pferd zur Quelle zu führen und eine Pause einzulegen.

Räucherwerk